Forum Umwelt & Entwicklung
Rundbrief III/2001

Globale Urwaldkrise!!!

  Martin Kaiser  
   

Größte Enttäuschung des Rio-Prozesses

Der Rio-Folgeprozess hat der Globalen Urwaldkrise in keiner Weise entgegen gewirkt. Weltweit wird jährlich immer noch mehr Urwald abgeholzt, als der gesamte deutsche Wald groß ist. Der internationale waldpolitische Dialog nach Rio ist zu einem "talk shop" der Verhinderer eines dringend notwendigen Urwaldschutzes verkommen. Die Konvention über Biologische Vielfalt sollte mit ihrem im April 2001 anstehenden 8 Jahres-Waldprogramm die Voraussetzung erhalten, Schutz und nachhaltige Nutzung verbindlich zu regeln und umzusetzen. Der Bundesregierung mit Bundeskanzler Schröder kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu.

Wenn Bundeskanzler Schröder im September 2002 zum Rio+10 Gipfel nach Johannesburg reist, wird er das Kongo-Becken überfliegen. Dort liegt eine der sieben fantastischen Urwaldregionen, die das verbliebene Fünftel ehemaliger Urwälder darstellen. Man kann nur hoffen, dass das Staatsoberhaupt einer der größten Holz verbrauchenden Nationen vom Urwaldgipfel der CBD im April 2002 ein Waldprogramm mitbringt, das endlich einen ernst zu nehmenden Aufbruch zum Urwaldschutz signalisiert.

Neben den tropischen Regenwäldern Afrikas, des Amazonas und Süd-Ost-Asiens sind insbesondere im Norden Sibiriens, Nordamerikas und Europas, aber auch in Chile die letzten geschlossenen Urwaldgebiete zu finden. Es ist zu befürchten, dass diese einmaligen Wälder, in denen über die Hälfte der Lebewesen unserer Erde beheimatet ist, in den nächsten Jahrzehnten unwiederbringlich verschwinden werden. Und mit ihnen Tiger, Wolf, Bär, Andenhirsch, Jaguar, Orang-Utan, Paradiesvogel und der Waldelefant.


Nach dem jüngsten Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP 2001) ist von 1960 bis 1990 eine Urwaldfläche verloren gegangen, die 45 mal größer ist als die Waldfläche in Deutschland. Das World Resources Institute (WRI 1997) bilanziert den Verlust von fast 80% der ehemaligen Urwaldflächen seit der letzten Eiszeit, wovon knapp die Hälfte heute überhaupt kein Wald mehr ist, die übrigen Flächen in Sekundärwälder und Plantagen umgewandelt wurden.


Der Rio-Prozess hat im Urwaldschutz versagt
Die Konferenz für Umwelt und Entwicklung von Rio 1992 hatte neben Klima v.a. den Schutz der letzten Urwälder als Ausgangspunkt. In den letzten 9 Jahren wurden jedoch 1,35 Mio. qkm Urwald abgeholzt. Das entspricht einer Fläche, die etwa 13 mal so groß ist, wie die deutschen Wälder (Bundesregierung 2001). Trotz des Anfang der 90er Jahre auch auf deutsche Initiative ins Leben gerufenen Pilotprojekts zum Erhalt des Brasilianischen Regenwaldes (PPG7), das jedes Jahr mit zig Millionen DM Entwicklungshilfe unterstützt wird, hat die Entwaldung im größten tropischen Regenwald von 17.000 qkm 1999 auf 20.000 qkm in 2000 zugenommen. Neben diesem Verlust von Waldflächen findet v.a. in Nordamerika und Europa eine Degradierung der Urwaldgebiete zu Forstplantagen statt. Wie staatliche Behörden bestätigen, macht allein der illegale Holzeinschlag und der Handel damit in Ländern wie Brasilien, Indonesien und Kamerun zwischen 40% und 80% aus.


Bereits in Rio haben es die Staaten nicht geschafft, ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zu verabschieden. Mit einer unverbindlichen Walderklärung drückte sich schon damals der mangelnde politische Wille zum Urwaldschutz aus. Urwälder werden bis heute als eine riesige Holzressource betrachtet, nachdem die industrialisierten Länder ihre vorratsreichen Urwälder bereits in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten abgeholzt haben. V.a. international agierende Forst- und Holzunternehmen der Industrieländer wollen die großen verbliebenen Urwaldgebiete - oftmals in Ländern des Südens gelegen - nutzbar wissen. Ein Großteil der weltweit geschlagenen Bäume landet auf den Märkten der USA, Japans, Deutschlands, der EU und neuerdings auch Chinas. Immerhin wurde neben der Klimakonvention und der Wüstenkonvention mit der Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) ein Rahmen geschaffen, der gerade für die sieben fantastischen Urwaldregionen ideal geschaffen wäre: Denn die CBD erkennt den Eigenwert von Natur an, will deren Schutz, die nachhaltige Nutzung und das "benefit sharing" verbindlich regeln.

Doch im Rio-Folgeprozess wurde die CBD in Waldfragen bewusst weitgehend ausgeblendet. Die Waldnutzer und Förster - allen voran Länder wie Kanada, Malaysia aber auch Deutschland mit der EU - wollten ihre eigene "Kettensägen-Konvention". So beauftragte die Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) das Intergovernmental Panel on Forests (IPF), Empfehlungen für den waldpolitischen Dialog für Rio+5 1997 auszuarbeiten. Eine Einigung zwischen den Ländern zur Frage einer Waldkonvention konnte jedoch bis 1997 nicht erzielt werden. Vielmehr wurden ca. 150 Handlungsempfehlungen und das Instrument des "Nationalen Waldprogramms" (NFP) zur Umsetzung der CSD vorgelegt.

Um den internationalen waldpolitischen Dialog nicht als ganz gescheitert erscheinen zu lassen, richtete die CSD 1997 das Intergovernmental Forum on Forests (IFF) ein. Erneut verhandelten v.a. Forstbeamte über weitere Handlungsempfehlungen. Im Hintergrund zunächst, später offensichtlich, blockierte erneut die Frage einer "Kettensägen-Konvention" konstruktive Verhandlungsergebnisse, die vom "talk shop" der Beamten zum dringend notwendigen Handeln der Politik zum Schutz der letzten Urwälder geführt hätte.
In letzter Sekunde der IFF-Verhandlung konnten sich die Staaten im Februar 2000 auf ein neues UN Waldforum (UNFF) einigen, das v.a. die Implementierungen der bisher erarbeiteten Handlungsempfehlungen zum Ziel haben soll.


Völkerrechtlich unverbindlich ist das UNFF nicht stark genug, um die Diskussion um eine völkerrechtlich verbindliche "Kettensägen-Konvention" zu verhindern und endlich der Umsetzung breiten Raum ein zu räumen. Im Hintergrund versuchen erneut die "Urwald vernichtenden" Länder wie Kanada, Malaysia und Finnland, den Umsetzungsprozess zu verhindern.

Eine wichtige Funktion, die das UNFF ausfüllen könnte, wäre die Koordination der oft in verschiedene Richtungen agierenden multilateralen Organisationen, wie Weltbank, FAO, UNDP, UNEP, WTO etc. Mit dem ebenfalls neu geschaffenen Collaborative Partnership on Forests (CPF) - Koordinierungsgremium der Multilateralen - soll genau diese Funktion wahrgenommen werden. Das CPF könnte sich als sehr nützlich herausstellen, wenn der politische Wille zum Urwaldschutz vorhanden wäre. Die ausschließliche Fokussierung des CPF auf das Instrument der Nationalen Waldprogramme (NWP) greift viel zu kurz. Vielmehr sollte versucht werden, über bestehende gesellschaftliche Prozesse v.a. auf der Umsetzungsebene (subnational, lokal) die Realisierung internationaler Verpflichtungen aus CBD oder FCCC zu verwirklichen.

Kleine Erfolge (trotz) des Rio-Prozesses


Durch eine von Länderseite unterstützte NGO-Initiative 1997 konnten die der Urwaldzerstörung und ?degradierung zugrunde liegenden Ursachen analysiert und in die Handlungsempfehlungen des IPF aufgenommen werden. Dazu zählen z.B. Korruption, Bestechung, illegaler Holzeinschlag und Handel.
Mit dem als Nichtregierungsorganisation gegründeten Forest Stewardship Council (FSC) haben sich Interessensgruppen aus Wirtschaft, Sozialen Organisationen und Umweltorganisationen zusammengefunden, um mit einem Label zwei zentrale Problemfelder anzugehen: 1. Den Nachweis von umweltverträglicher, sozial gerechter und ökonomisch sinnvoller Waldnutzung und 2. Dem Produktkettennachweis vom Wald bis zum Endprodukt. Mittlerweile sind über 200.000 qkm Wälder FSC zertifiziert, allein in Deutschland knapp 3.000 qkm. Das internationale FSC-Zeichen leistet mittlerweile einen wichtigen Beitrag für eine große Zahl von Unternehmen, nachweislich Holz aus guter Waldbewirtschaftung anzubieten. So hat beispielsweise IKEA für den eigenen Betrieb beschlossen, Holz aus Urwaldzerstörung auszulisten und verstärkt FSC zertifiziertes Holz zu verwenden.


In den gemäßigten Regenwäldern Westkanadas konnten auf Druck von Greenpeace und anderen Umwelt- und Indigenen-Organisationen mit späterer Unterstützung v.a. der europäischen Papierindustrie die kanadische Forstindustrie und die Regierung gezwungen werden, 7.000 qkm Wald unter langfristigen Schutz und 9.000 qkm unter ein befristetes Einschlagsmoratorium zu stellen, bis ein auf ökologischen Planungen beruhendes Managementkonzept akzeptiert ist.

Rolle der Bundesregierung


Doch die Urwaldzerstörung geht in einem Ausmaß weiter, dass auch diese wichtigen Erfolge nicht signifikant helfen. Und Deutschland hat bisher keine rühmliche Rolle dabei gespielt. Bis heute ist Deutschland eines der größten importierenden Länder für Holz aus Urwaldzerstörung. Als Industrieland ist Deutschland am Scheitern des G8-Aktionsprogramm für Wälder und dessen Kampf gegen illegalen Holzeinschlag und Handel mit verantwortlich. Statt der international jährlich zugesagten Entwicklungshilfe von 0,7% des Bruttoinlandsproduktes stellt Deutschland gerade mal 0,26% zur Verfügung - erbärmlich wenig, auch im internationalen Vergleich. Mit seiner bis heute starren Haltung für eine Waldkonvention - statt der Nutzung und Entwicklung der bestehenden völkerrechtlich verbindlichen Instrumente (wie der CBD) - hat Deutschland zu einem Verschleppen von wirksamen Aktionsplänen maßgeblich beigetragen. Zuletzt wurden auf den Klimaverhandlungen in Bonn 2001 Kompromisse mit Kanada und Japan geschlossen, die nachweislich Urwald zerstörende Auswirkungen haben und auch dem Klimawandel nicht entgegen wirken werden.


Die Förster in Bundes- und Landesregierungen (v.a. Bayern, Baden-Württemberg, Hessen) behindern durch ihren langjährigen Widerstand gegen das hoffnungsvolle Instrument FSC einen international wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Waldnutzung. Beispielgebender Waldschutz, wie die Ausweisung eines Buchen-Nationalparks Kellerwald auf nur 60 qkm (!), sowie die verantwortungsvolle Umsetzung der europäischen FFH-Richtlinie wurden von Försterseite behindert.
Trotz hoher Recyclingquoten sinkt der Anteil von Recyclingpapier-Produkten am Markt. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Papier ist auf über 200 kg im 21. Jahrhundert gestiegen. Damit liegen die Deutschen mit an der Spitze des weltweiten Papierverbrauchs.

Bundeskanzler Schröder, Sie müssen jetzt den Jaguar und den sibirischen Tiger retten!


Bundeskanzler Schröder wird im September 2002 in Johannesburg daran gemessen werden, was er zum Abwenden der Globalen Urwaldkrise getan hat. Auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über Biologische Vielfalt soll ein 8-jahresprogramm für Wälder verabschiedet werden.
Die CBD eignet sich als völkerrechtlich verbindlicher Rahmen ideal, um die drängenden Probleme anzugehen.
Deshalb verlangen wir zum "Urwaldgipfel" eine Kanzler-Initiative für folgende "3M"Forderungen:
  • Dringende, sofortige Maßnahmen gegen illegalen Holzeinschlag und Handel, zur Management-Verbesserung der wenigen existierenden Schutzgebiete, für ein neues Schutzgebietssystem für die fantastischen sieben Urwaldregionen, zur Eliminierung von perversen Subventionen, die bisher zu Urwaldzerstörung geführt haben, zur Förderung nachhaltiger, FSC zertifizierter Nutzung und die Renaturierung degradierter Wälder.
  • Moneten: Die Industrieländer sollen in den nächsten 8 Jahren 15 Milliarden EURO jährlich zusätzlich für die Einrichtung eines Urwald-Fonds zur Verfügung stellen, um mit der Umsetzung der Sofortmaßnahmen und des Moratoriums beginnen zu können.
  • Moratorium: Sofortige Einrichtung eines Moratoriums für alle industriellen Abholzungen und andere industrielle Tätigkeiten, bis ein repräsentatives Netzwerk von geschützten Flächen und Gebieten für nachhaltige Nutzung voll eingerichtet und garantiert ist.

Mit dem zu verabschiedenden Waldprogramm der CBD im April und dem Rio+10 Gipfel im September besteht im nächsten Jahr die einmalige Chance, das Versagen der Regierungen - auch der deutschen Regierung unter Bundeskanzler Schröder - im Rio-Folgeprozess zu Urwäldern endlich deutlich zu korrigieren.

Wenn dies dem Kanzler bis dahin nicht gelingt, werden in den Minuten seines Überflugs im Kongo-Becken Urwälder in der Größe mehrerer hundert Fußballfelder verschwinden und mit ihnen die Heimat von Gorillas, Schimpansen und Waldelefanten. Für immer!


Martin Kaiser
Der Autor ist Mitarbeiter bei Greenpeace/ Waldbereich



Bundesregierung 2001: Gesamtwaldbericht, Berlin, Juli 2001
UNEP 2001: An Assessment of the Status of the World´s Remaining Closed Forests, UNEP/DEWA/TR 01-2. Nairobi, Kenya
World Resources Institute 1997: The last Frontier Forests, Washington D.C., USA