Forum Umwelt & Entwicklung
Rundbrief II/2001

Festgefahrene Fronten bei der CSD-9

  Jürgen Maier  
   

Nachhaltige Energiewirtschaft nicht konsensfähig

Zugegeben: Energie und Verkehr sind nicht gerade Themen, die sich zuerst anbieten, wenn man zu einem Konsens über nachhaltige Politik kommen will. Das kennen wir schließlich aus den innenpolitischen Debatten fast aller Länder: Die Lobby nicht-nachhaltiger Politik und Wirtschaft ist gerade in diesen Sektoren am stärksten. Und Energie war schon in Rio so kontrovers, dass es selbst in der Agenda 21 kein eigenes Energiekapitel gibt. Alles in allem standen die Vorzeichen also nicht sonderlich günstig dafür, dass die neunte CSD-Sitzung in diesem Jahr eine Sternstunde in der Geschichte der CSD werden würde, da sie genau diese beiden Schwerpunktthemen hatte.


Was dann allerdings real ablief, war schon fast ein Schwanengesang auf die CSD in ihrer bisherigen Form: es dürfte das letzte Mal gewesen sein, dass sich Minister, Diplomaten und Vertreter der Zivilgesellschaft in dieser Form in der CSD zusammengefunden haben. Schon die - im Falle des Energiethemas zweijährige - Vorbereitungsphase hatte nichts Gutes erwarten lassen, so festgefahren waren die Fronten und so wenig waren die Vertreter etwa der OPEC, aber auch der meisten anderen Staaten bereit, auch nur Trippelschrittchen in Richtung nachhaltiger Entwicklung zu gehen.
Die Erkenntnis am Anfang des Textes "Current patterns of energy production, distribution, and utilization are unsustainable" war dann leider kaum von irgendwelchen Konsequenzen begleitet. Umstritten - sprich: nicht konsensfähig - war bei der CSD-9 so ziemlich alles, was zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft gehört, sofern es über allgemeine Bekundungen hinausging. Die G-77 standen wie schon in den meisten Vorjahren wieder unter der Präsidentschaft eines OPEC-Landes (diesmal Iran). Dementsprechend waren klare Aussagen, dass die fossilen Brennstoffe allein schon aus Klimagründen keine Zukunft haben, natürlich nicht durchsetzbar. Zu Fragen wie Energieeffizienz, der Einführung erneuerbarer Energien oder der Integration von Nachhaltigkeit in Energiepolitik blieb es bei Lippenbekenntnissen; Konkretisierungen scheiterten rasch.

Atomenergie

Nur bei der Frage der Atomenergie entstanden etwas andersartige Fronten: mit die härtesten Kämpfer gegen die Atomkraft waren seit jeher die Saudis, während in der EU die beiden rot-grünen Koalitionen aus Frankreich und Finnland sich als Atom-Freunde profilierten, gegen die Anti-Atom-Hardliner wie dem rot-grünen Deutschland, dem schwarzbraunen Österreich sowie Irland, so dass die EU nicht zu einer klaren Position kam. Am Ende gab es nur die Alternative, ob man sich entweder zur Atomenergie gar nicht äußern soll oder schlichtweg konstatieren soll, dass es verschiedene Positionen gibt. Die zweite Variante setzte sich schließlich durch, aber so groß ist der Unterschied faktisch nicht.

Subventionen für fossile Brenstoffe

Aufschlussreich über die Arbeitsweise der CSD war die Frage der Subventionen für fossile Brennstoffe. Bei den Dialogue Sessions der gesellschaftlichen Gruppen wurde einhellige Kritik an diesen Subventionen geäußert, selbst von den Gewerkschaften (die IG Chemie & Bergbau war nicht dabei), nur die Vertreter der Wirtschaft äußerten sich ausgesprochen ambivalent. Bei einem Side Event der Internationalen Energieagentur IEA und von UNEP zu Energiesubventionen wurde über regionale Tagungen beider Organisationen zu diesem Thema berichtet. Alle diese Tagungen richteten sich an Regierungsbeamte, und es waren Regierungsbeamte aus allen Kontinenten, die bei dem Side Event darüber berichteten. Alle waren sich einig: diese Subventionen nützen vor allem den Reichen, sie leeren die Staatskasse, sie führen zu Verschwendung. Ein indonesischer Regierungsvertreter berichtete, in seinem krisengeschüttelten Land (OPEC-Mitglied) würden sage und schreibe 25% des Staatshaushalts zur Subventionierung fossiler Brennstoffe verwendet, mehr als für Bildung, gesundheit oder selbst für den Schuldendienst. Auf die Frage, ob die vortragenden Regierungs-Vertreter irgendeinen Kontakt mit ihren real existierenden CSD-Delegationen hätten, mussten sie mit nein antworten. Es war dann prompt nahezu unmöglich, in den Beschluss-Text irgendwelche Aussagen zu Energiesubventionen einzufügen, außer einem Stück "agreed language" aus dem Jahr 1997 - stattdessen wurde beispielsweise empfohlen, die Kohleverflüssigung voranzutreiben, die wie kaum eine andere fossile Technologie nur in einem rundherum subventionierten Umfeld bestehen kann. Textpassagen, die versuchten, eine nachhaltige Energiewirtschaft etwas genauer einzugrenzen, scheiterten routinemäßig an den G77. Begründung: all dies sei für Entwicklungsländer irrelevant, zunächst einmal müssten sich diese nämlich entwickeln, bevor sie irgendwelche Gedanken an Nachhaltigkeit verschwenden könnten. Um so heftiger wurde dort allerdings betont, wie dringend die Entwicklungsländer auf Entwicklungshilfe für ihre Energiebedürfnisse angewiesen seien und wie wichtig Energiepolitik ist, die die Armutsbekämpfung unterstützt (Zyniker würden hier wohl anmerken, dass eine von Ölimporten abhängige Energiestruktur der meisten Entwicklungsländer sicherlich zur Armutsbekämpfung in den OPEC-Staaten beiträgt). Alles in allem ist der Energie-Beschluss der CSD-9 wahrlich kein wegweisendes Dokument für Rio+10.

Sondersitzung des UNEP-Verwaltungsrats

Ein interessantes Highlight am Rande der CSD war eine Sondersitzung des UNEP-Verwaltungsrats, die aus Anlass der Anwesenheit der vieler Umweltminister im UN-Hauptquartier parallel stattfand. UNEP-Exekutivdirektor Klaus Töpfer präsentierte dort seinen von der UNEP-Verwaltungsratssitzung im Februar angeforderten Bericht zum Status der "International Environmental Governance" (1). Dabei geht es um die Frage, wie im Rahmen des Rio+10-Prozesses institutionelle Fragen vorangebracht werden können, allen voran die Frage, wie UNEP so handlungsfähig gemacht werden kann, dass es seinen Aufgaben einigermaßen gerecht werden kann. Eine Welt-Umweltorganisation, wie sie von einigen Staaten gefordert wird, dürfte als Resultat dabei sicherlich nicht herauskommen, aber eine Aufwertung und Stärkung von UNEP ist realistisch und dringend erforderlich. Töpfers Bericht umschiffte meisterlich alle Klippen, die in diesem rauen Fahrwasser lauern, und er schaffte das Kunststück, dass sich alle auf den Bericht positiv bezogen - auch die Entwicklungsländer, von denen viele in der internationalen Umweltpolitik fast nur noch ein Komplott der Industrieländer zur Schwächung der Entwicklungschancen des Südens sehen. Immer noch wird nachhaltige Entwicklung viel zu oft als eine ganz traditionelle "Entwicklung" (sprich: den Norden kopieren) verstanden, statt darin einen Prozess zu sehen, in dessen Rahmen sich Nord und Süd diese nicht-nachhaltigen Entwicklung der Vergangenheit überwinden. Hauptanliegen von Töpfer und der UNEP ist es, endlich eine gesicherte Finanzbasis zu bekommen, also weg von den freiwilligen Beiträgen hin zu geregelten Beiträgen wie in einer normalen UN-Sonderorganisation (die UNEP ja nach wie vor nicht ist).

Hindernisse auf dem Weg zu nachhaltiger Entwicklung

Zusammenfassend kann man sagen, dass es den meisten Staaten bei dieser CSD nicht darum ging, schwierige Hindernisse auf dem Weg zu nachhaltiger Entwicklung anzupacken, sondern im Gegenteil darum, zu verhindern, dass diese Hindernisse angepackt werden. Die nationale Souveränität, nicht-nachhaltig zu handeln, wird von fast allen Staaten intensiv bemüht, wenn es zu konkreten Beschreibungen der Versäumnisse der letzten Jahre und der anstehenden Taten der nächsten Jahre kommt, da stehen die Amerikaner bei weitem nicht so alleine wie es manchmal aussieht. Apropos USA: Während die Amerikaner genauso wie die außereuropäischen Industriestaaten und Russland ihre gewohnte Zurückhaltung an den Tag legten (die man auch als Desinteresse an der CSD auslegen kann), war diese CSD mehr noch als in der Vergangenheit von der Polarisierung zwischen der EU auf der einen Seite, die sich wenigstens um nach vorne weisende Beschlüsse bemühte, und den Entwicklungsländern gekennzeichnet. Der Hauptgrund dafür dürfte die Tatsache sein, dass fast keine Vertreter aus den Entwicklungsländern zur CSD anreisen, sondern die New Yorker UN-Vertretungen dort die Politik machen. Diese "New York Mafia" funktionalisiert die CSD dazu, ritualisierte Schaugefechte aus einem Dutzend anderer UN-Gremien hier zu wiederholen, zumal diese Diplomaten von den verhandelten Themen in der Regel nicht viel Ahnung haben. Das geht sogar soweit, dass es ausgerechnet viele G77-Vertreter waren, die Wert darauf legten, dass über die institutionelle Zukunft von UNEP in New York entschieden werden muss und nicht in Nairobi am Sitz von UNEP- dem einzigen UN-Standort in einem Entwicklungsland...

Der Weg zum Gipfel

Die CSD-10, deren Auftaktsitzung unmittelbar nach der CSD-9 Anfang Mai stattfand, unterscheidet sich von den vorhergehenden allein schon dadurch, dass sie keine thematischen Schwerpunkte hat, sondern in vier verschiedenen Einzelsitzungen als Vorbereitungskommission für den Johannesburg-Gipfel fungiert. Die Tatsache, dass die vierte und letzte dieser Sitzungen in Indonesien stattfindet - um dieses Land als den unterlegenen Mitbewerber Südafrikas für den entgangenen Gipfel zu entschädigen - könnte dabei von größerer Bedeutung sein als zunächst angenommen: zunehmend mehr Beobachter kommen zu dieser Ansicht, dass es für die CSD von großer Bedeutung sein könnte, künftig außerhalb New Yorks zu tagen.
Sicherlich ist es zutreffend, dass viele Entwicklungsländer es sich nicht leisten können, Fachbeamte oder Experten zur CSD nach New York zu schicken, um dort ernsthaft über Fragen nachhaltiger Entwicklung zu verhandeln. Aber selbst jene, die dennoch anwesend sein können, werden oft genug von ihrer New York-Vertretung kaltgestellt. Dafür gibt es potentiell nur eine Lösung: Grundsätzlich außerhalb New Yorks tagen und einen Reisekostenfonds erstellen, der für die New York-Mafia nicht zur Verfügung steht, sondern für Fachleute aus den Entwicklungsländern. Allerdings kann dies sicherlich nicht das einzige Element einer CSD-Reform sein.
Für den Rio+10-Gipfel in Johannesburg war die CSD-9 jedenfalls wahrlich keine Inspiration. Wenn dort irgendwelche Fortschritte erzielt werden sollen, dürfte es wohl unumgänglich sein, Mittel und Wege zu finden, wie man den lähmenden Konsenszwang umgehen kann. Am erfolgversprechendsten scheint mir dabei, wenn sich gleichgesinnte Staaten zusammenfinden, idealerweise aus Nord und Süd, die in Johannesburg gemeinsame politische Initiativen ankündigen, denen sich andere anschließen können. Wie wäre es beispielsweise damit: Eine Reihe Industrieländer verpflichten sich, ihre Subventionen für fossile Brennstoffe innerhalb eines festen Zeitrahmens auslaufen zu lassen, und gleichzeitig einen Teil der eingesparten Haushaltsmittel bestimmten Entwicklungsländern zugute kommen zu lassen, die sich ihrerseits verpflichten, ihre Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen. Solche Initiativen können keine Amerikaner und keine OPEC blockieren, und sie würden den vielbeschworenen "Geist von Rio", nämlich eine Partnerschaft von Nord und Süd für ein neues Entwicklungs-Paradigma, vielleicht wirklich wiederbeleben können. Gerade Deutschland als einer der Welt-Spitzenreiter in Sachen Subventionierung fossiler Brennstoffe könnte hier Zeichen setzen...



Der Autor ist Leiter der Projektstelle Forum Umwelt & Entwicklung


(1) Töpfers Bericht ist im Internet verfügbar unter www.unep.org/IEG/WorkingDocuments.asp